Bianca in Lambertville

Die beste Zeit Deines Lebens. Ein Schüleraustausch mit into.

„Gibt es in Deutschland eigentlich Blumen?“ Auf viele, vielleicht auch manchmal unverständliche Fragen war ich ja vorbereitet, als ich Mitte August mein Abenteuer USA startete, aber dass man mich danach fragt, ob es in Deutschland Blumen gäbe hätte ich niemals gedacht. Wahrscheinlich ist jedoch genau das eins der Dinge, die nur im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ möglich sind.

Ein Jahr als Austauschschülerin in den Vereinigten Staaten von Amerika zu verbringen war schon in der 8. Klasse ein großes Vorhaben und Traum.Nach einiger Recherche fiel meine Wahl auf die Austauschorganisation into, die schon seit Jahren Schüleraustausch durchführt. Nach erfolgreichem Auswahlgespräch folgte dann das Ausfüllen vieler Bewerbungsformulare und das Warten auf die passende Gastfamilie. Ende Mai 2009 traf der langersehnte Brief mit der Zusage ein, und alles wurde konkreter. Endlich war genau das eingetreten, worauf ich schon so lange gewartet hatte. Am 11. August verbrachte ich meine letzten Minuten mit Familie und Freunden am Flughafen, bevor der 8-Stunden-Flug nach New York City startete, wo ich an einem sogenannten Orientation Camp teilnahm, welches im Wesentlichen daraus bestand den „Big Apple“ unsicher zu machen.

Nach fünf sehr erlebnisreichen Tagen ging es zu meiner Gastfamilie nach Lambertville, Michigan. Diese erwartete mich mit Luftballons und Teddybär am Flughafen in Detroit, und mein Leben in einer jetzt 7-köpfigen Familie begann. Auf einmal hatte ich anstelle meines kleinen Bruders, noch drei Schwestern und einen Bruder dazubekommen. Es war dennoch kein Problem mit so vielen Menschen einen Haushalt zu teilen, sodass mir der Anfang meines neuen Lebens unglaublich leicht gefallen ist. Als dann schlussendlich die Schule im September anfing, hatte ich mich schon sehr gut eingelebt, und stieg mit freudiger, aber auch nervöser Erwartungshaltung in den gelben Schulbus, der mich ein Jahr anstelle der Bogestra zur Schule bringen sollte.

Typisch amerikanisch war dann auch, genau wie der Schulbus, die Schule selber. Jeder Schüler hatte seinen eigenen Spind, „locker“ genannt, der irgendwo entlang der Gänge verteilt lag und in dem man jegliche Materialien, die grade nicht gebraucht werden unterbringt. Allerdings braucht man für Fächer wie Erziehung (was definitiv nicht mit dem Fach Pädagogik zu vergleichen ist), Leiterschaft, Essen, Töpfern, Fotografie, Medien, oder Innendekoration auch nicht so viel was man in dem locker unterbringen müsste. Anders als in den meisten Schulen in Deutschland hat jeder Lehrer in den USA seinen Klassenraum, den er so gestaltet, wie es für den Unterricht passend ist.

Da meine Schule mit ihren 1600 Schülern relativ groß war, ergab es sich nicht, dass ich mit irgendwem, den ich schon ein bisschen kannte Kurse zusammen hatte, was am Anfang sehr schade, am Ende dann aber sehr unproblematisch war, denn man stellt sich vorher schon darauf ein, selber aktiv werden zu müssen in Sachen Freundschaftsschließung. Und obwohl es im Endeffekt immer anders läuft, als man sich das so vorgestellt hatte, findet man durch die unterschiedlichsten Wege die tollsten Freunde. Mit genau diesen Freunden bin ich auch zu den Football Spielen im Herbst gegangen, um unsere erfolgreiche Schulmannschaft anzufeuern und zu bejubeln, wie auch zu dem alljährlichen „Homecoming Dance“, zu dem alle Schüler der High School, also 9. bis 12. Klasse teilnehmen dürfen. Die Woche im Vorfeld dieses Schülerballs ist eine ganz besondere. Die Gänge sind mit riesigen selbsterstellten Plakaten verziert und zu jedem Tag gibt es ein bestimmtes Motto zu dem sich die gesamte Schüler-, wie auch Lehrerschaft kleiden soll. Auch der Ball am Samstag dieser Woche steht jedes Jahr unter einem anderen Motto, welches in diesem Jahr „Night of Lights“ war. Typisch amerikanisch ist hier, sich mit Freunden und „Dates“ vorher bei jemandem zu Hause zu treffen, dort Fotos zu machen und hinterher, noch vor dem Ball aus Essen zu gehen. 30-40 Minuten Wartezeit im Restaurant inklusive, denn schließlich machen das alle so und obwohl es viel Auswahl gibt, ist es doch schwierig 2000 Schüler in der Stadt zu verteilen ;-)

Mit dem Homecoming ging auch langsam aber sicher die Football Saison zu Ende, und ab jetzt trafen sich die sportbegeisterten jeden Freitag in der Turnhalle um sowohl die Jungen-, als auch die Mädchenbasketballmannschaft (beide relativ erfolgreich) mit traditionellen „Cheers“, also Anfeuerungsrufen anzufeuern. Zu dieser Zeit unternahm ich viel mit meiner Gastfamilie, wir pflückten zusammen Äpfel, machten dann daraus in zwei Tagen Apfelbutter, dekorierten das Haus herbstlich, und bereiteten uns natürlich auch auf Halloween vor. Dieses wurde hier von der Kirche aus ganz besonders zelebriert. Jede teilnehmende Familie wurde mit der Aufgabe betragen, den eigenen Kofferraum nach einem Thema zu gestalten und anschließend alle Familienmitglieder diesem Thema entsprechend zu verkleiden. Lange überlegten wir und verbrachten einige Stunden in den Halloweenabteilungen der Supermärkte bis wir uns auf das Thema „Himmel und Hölle“ einigen konnten. Im Endeffekt ergab es sich so, dass ich den Teufel darstellte und der Rest der Familie das himmlische Volk „angeführt“ von meinem Gastvater, der in weißem Gewand als Gott auf einem Stuhl sitzend, auf dem Dach des weißen Vans thronte. So hatte ich mir Halloween auch nicht vorgestellt, aber es hat Spaß gemacht.

Ganz ohne Schnee und mit dem größten und typischsten amerikanischem Feiertag ging mein Leben weiter. Thanksgiving. Hierfür bekam ich sogar ein paar Tage schulfrei, sozusagen der „Ersatz“ für unsere Herbstferien. Natürlich, wie man sich das über Amerika so vorstellt, gab es an besagtem Feiertag auch den typischen Truthahn mit „stuffing“ drin. Den ganzen Tag über wurde dieses vorbereitet und als Highlight am Nachmittag fuhren wir alle gemeinsam zu einer befreundeten Familie zum alljährlichen „Stump Family Turkey Bowl“, also ein Footballspiel mit der Familie und einigen Freunden. Teams wurden gewählt, die Kamera mit neuen Batterien versorgt und dann ging es los. Es war sehr kalt, aber trotzdem echt eine Erfahrung wert. Hier habe ich gesehen, dass Football nicht nur Teil der Schule oder des Colleges ist. Es gehört einfach zum Familienleben mit dazu. Wie die Deutschen in ihrer Freizeit im Garten Fußball spielen, so tun das die Amerikaner auch. Nur halt mit Football. Nachdem dieses Spiel dann beendet war, und unser aller Füße vor Kälte fast nicht mehr spürbar waren, fuhren wir nach Hause und die gesamte Familie half meiner Gastmama Deb dabei das Abendessen fertig vorzubereiten. Der Tisch wurde reich gedeckt, und in der ganzen Zeit habe ich ihn noch nie so voll gesehen. Mittendrauf der  Truthahn und das „Stuffing“, das im Truthahn mitgebacken wird, aber hinterher dort raus geholt wird, und diverse Beilagen.

Genau zu dieser Zeit fing auch meine Lieblingszeit an. Die Zeit, in der ich Teil des Competitive Cheerleading Teams sein durfte. Dieses Team macht Cheerleading um damit bei Wettbewerben anzutreten, allerdings auch ab und zu für Basketballspiele. Der Zusammenhalt und Teamgeist dieser Mannschaft begeistert mich heute noch und ich habe noch nie irgendwo etwas vergleichbares erleben dürfen. Jede hat die anderen zu ihrer besten Leistung gepusht und das ganz ohne viel Druck oder Härte. Es war zwar anspruchsvoll, aber hat gleichzeitig unglaublich viel Spaß gemacht. Zur Weihnachtszeit durfte ich wundergrausame pinke und lilafarbene Plastiktannenbäumen beim Weihnachtseinkauf bewundern. Ein Graul und dennoch große Belustigung. Genau wie der Einkauf an sich. Das bei einer siebenköpfigen Familie so hinzubekommen, dass der jeweils andere das nicht mitbekommt ist bei zwei Mitgliedern mit Auto relativ bis sehr schwierig. Aber meine Gastmama war darin ja geübt und so konnte durch teilweise komplizierte Ablenkungsmanöver jeder seine oder ihre Einkäufe machen und sich doch sehr sicher sein, dass außer der lieben Mutter keiner wusste, was man denn jetzt genau gekauft hatte. Zusammen als Familie wurde dann auch das Haus im Innen- sowie Außenbereich dekoriert und der Tannenbaum (ein echter) ausgesucht. Dieser wurde dann auch in einer gemeinsamen Aktion gefällt, bei der jeder mal mit der Säge ran durfte, und hinterher auf den großen, weißen Familienvan geschnallt. Auch das Aufstellen bereitet bei einer so großen Familie besondere Freude. Deb und ich wurden dann mit der Aufgabe betraut die Lichterketten in und um den Baum zu hängen. Geschätzt ungefähr mindestens vier. Auch diverse Dekorationselemente wurden so im Geäst verteilt, dass kein bisschen mehr frei war. Ein sehr anderer Anblick, aber doch irgendwie stimmig mit der ganzen Atmosphäre um mich herum.

An Weihnachten selber bekamen wir Besuch von der Verwandtschaft, die das Haus noch voller machte, aber echt eine tolle Erfahrung war. Auch, dass man an Heiligabend keine Geschenke öffnet, sondern stattdessen Plätzchen für Santa und Möhren für die Rentiere nebst einem Glas Milch neben den Kamin stellt zusammen mit einem Brief an den Weihnachtsmann, auf dem man alle seine Wünsche niederschreibt. Am Morgen des 25. Dezembers wurden wir also im Schlafanzug ins Erdgeschoss gerufen und dort fanden sich dann diverse Geschenke unter dem Baum, wie auch in den „Stockings“, also den langen Socken, die jedes Kind hat. Alles genauso wunderbar wie das Frühstück und die 26-stündige Fahrt nach McAllen, Texas, zu mehr Verwandtschaft. Dort verbrachten wir bei strahlendem Sonnenschein den Rest des Dezembers, sowie Silvester und ein paar Tage Januar, bis wir auch diesen Teil Amerikas wieder verlassen mussten um nach Michigan zurückzukehren. Dort angekommen lag auch endlich der erste Schnee, der das neue Jahr in ein ganz anderes, stilles, friedliches Licht tauchte und den Wiedereinstieg zur Schule ein wenig angenehmer gestaltete. Der Schulalltag mit seinen Hausaufgaben, Tests, Theater- und sonstigen Schulaufführungen trat wieder ein, als es bald auch schon Zeit für ein weiteres großes Event war. Den Superbowl, das große Endspiel der Football Liga, der im Februar zwischen den New Orleans Saints und den Indianapolis Colts. Mit vielen anderen Familien versammelten wir uns bei Freunden, gaben dort unsere Tipps ab, aßen footballförmige Brownies auf Servietten mit den Logos der beiden Teams, und guckten uns zusammen das Spiel an. Naja, die meisten weiblichen Teilnehmer wohl eher die Werbungen zwischendurch, die bei Wucherpreisen von 2.8 Millionen USD für 30 Sekunden TV-Spot auch besonders auf dieses Ereignis zugeschnitten waren. Im Februar durfte natürlich der Valentinstag nicht fehlen, an dem mein liebster Gastbruder uns Mädels allen eine Überraschung zum Frühstück bereitete und wir von meinem Gastpapa riesig beschenkt wurden. Nichtsdestotrotz war dieses Frühstück nicht annähernd so gut wie das Abendessen, welches wir zu Ehren meines Gastbruders bei „Mongolian BBQ“ einnahmen. Der Geburtstag meines Gastbruders war der Tag, an dem ich mein amerikanisches Lieblingsrestaurant küren konnte. Ein echtes Highlight. Ein echtes Highlight waren auch die Modenshow, die ich mir angeguckt habe und den Schneemann, den ich endlich bauen konnte. Und nur wenige Wochen später war es schon wieder sonnig wie noch nie, und wir als Familie haben einen Ausflug in die „deutsche“ Stadt Frankenmuth gemacht. Wunderschön stereotypisch bayerisch, dennoch auf jeden Fall die zweistündige Fahrt gen Norden wert. In der Zeit vor meiner allerersten und auch letzten amerikanischen „Spring Break“ ging auch meine Cheerleadingzeit zu Ende, welche mit einem ordentlichen Bankett zelebriert wurde. Zelebriert wurde auch die Fahrt meines Orchesters nach Disneyworld in Orlando, Florida. In 23 Stunden gelangten wir von dem noch relativ kalten zum sonnig warmen Florida, welches uns freudig in Empfang nahm. Jeden Tag verbrachten wir komplett in einem oder auch mehreren der Disneyparks, und am Abend unternahmen wir gemeinsam etwas, wie zum Beispiel das Ansehen der Blue Man Group. Allerdings ging wie so vieles auch diese Zeit viel zu schnell vorbei, und Ostern stand vor der Tür. Alle Kinder des Hauses suchten an diesem Sonntagmorgen nach dem Osterkörbchen, welches der Osterhase versteckt hatte. Ja, in diesem Jahr habe ich sowohl an den Weihnachtsmann, als auch an den Osterhasen geglaubt.

Nachdem wir alle erfolgreich waren, war, nur einen Wimpernschlag entfernt, der Abschlussball, „Prom“ genannt schon in Reichweite. Ich ging also mit meinen zwei besten Freunden ein Kleid kaufen. Ein absolutes Abenteuer, das sehr unglaublich viel Spaß gemacht hat. Jedoch hat der eigentliche Prom viel mehr Spaß gemacht. An diesem Tag haben wir uns alle zusammen bei einer Person unserer Gruppe getroffen um dort Fotos zu machen. Fotos von all den schönen Menschen in den noch viel schöneren Kleidern und Smokings. Aber auch die Amerikaner haben irgendwann ausgelächelt und so machten wir uns im 11 Meter langen Wohnmobil auf die Reise zum Veranstaltungsort. Mir ist außer dem verrückten Tanzstil der Amerikaner vor allem ein wunderschöner Abend in Erinnerung geblieben, der definitiv zu einem der schönsten bisher zählt. Schön waren auch deutsche Kochaktionen, Baseballspiele, das letzte Orchesterkonzert, der letzte Schultag mit den Abifaxen und das Abschlussfrühstück mit der ganzen Stufe, die noch vor meinem amerikanischen Sommer 2010 folgten. Den Sommer über habe ich, wie ein richtiger Schüler der Abschlussklasse meinen Schulabschluss bekommen, viel mit Freunden unternommen und ein Festival mit 111 Bands in Wilmore, Kentucky genießen dürfen. Was will man mehr als Abschluss eines wunderbaren Jahres in einem wunderbaren Land?