Julia in Newport

Ich hatte damals in der Schule eine Broschüre gesehen und mitgenommen. In der elften ins Ausland gehen – schon cool, aber ich? Das erste Problem war ja schon das Geld…aber nachdem ich mir tagelang in Internetforen die Angebote und Erfahrungsberichte von Austauschorganisationen durchgelesen hatte, stieg die Lust mehr und mehr. Meine Eltern hatte ich schnell überzeugt, Onkel und Oma haben was dazugelegt und los ging die Planung. Auf einmal gab es kein Zurück mehr. War es nicht gerade erst Herbst und ich hab mich in Berlin mit einem Returnee zum Kaffee verabredet? Aber ein dreiviertel Jahr und zehn Tonnen Papierkram (es lohnt sich, kämpft euch da durch) ging es auf einmal los! 28. Juli. Ein paar Tage New York zum akklimatisieren und  austauschen mit anderen Leuten haben da echt geholfen, war für mich wie eine Nervösitätsbremse. Denn da kommt ja doch schon ganz schön was auf einen zu: Gastfamilie, Leute mit denen du im besten Fall mal ein paar Mails geschickt hast; die neue Schule, in der du dich fühlst wie im Teenie-Film, die Sprache, das Heimweh...und und und! Aber ihr kennt das ja. Vorher macht man sich eh immer viel zu viele Sorgen. Am 1. August bin ich angekommen in meiner neuen Heimat für die nächsten 10 Monate! Meine Gastmutter Jodie, mein Gastpapa Mike und meine Gastschwester Morgan standen am Kofferband bereit und haben mich herzlichst begrüßt! Wir haben dann auch gleich drauf los geplappert und ich dachte mir so – hey, das mit der Sprache ist ja schon mal super! Falsch gedacht, am gleichen Abend war ich mit Morgan, meiner 17 jährigen Gastschwester noch bei ihrer Freundin bei einem Lagerfeuer in ihrem Garten. Da hab ich dann die Leute in meinem Alter reden gehört. So viel mit unterhalten war da nicht. Hört sich so an wie Nuscheln und Kaugummikauen vereint. Aber keine Sorge, nach 3 Wochen wurde da auch kein Gedanke mehr dran verschwendet! Ich hatte was meine Gastfamilie betrifft wirklich Glück! Meine Gastschwester Morgan und ich waren unzertrennlich. Nicht wie Freunde, sondern wie Schwestern! Wir haben viel zusammen unternommen, aber eben auch nicht alles! Wir hatten auch noch unser eigenes Leben. Aber sie hat mich in ihren Freundeskreis integriert und mir immer zur Seite gestanden. Wir waren auf einer Wellenlänge, was Sport, Mode, Lebenseinstellung und überhaupt alles betrifft. Das gleiche galt auch für den Rest meiner Familie:  ich hab mich nie anders gefühlt, wurde immer verstanden und sehr einfühlsam behandelt. Mit meiner Mama hab ich manchmal bis um 3 Uhr nachts einfach dagesessen und geredet. Sie ist großartig und war mehr wie eine Freundin.  Mein Papa wusste mehr über die Deutsche Geschichte als ich, was mich manchmal ein wenig blamiert hat, aber dafür konnte ich dann mit einem originalen Teil der Berliner Mauer als Weihnachtsgeschenk auftrumpfen. Meine geliebten Gastgroßeltern hatten ein kleines Häuschen an einem See, an dem wir uns jedes freie Wochenende aufgehalten haben, und das mein liebster Platz in der Welt ist. Und zu guter Letzt hat meine Gastmutter jeden Abend frisch gekocht, mit Salat und allem. Was will man mehr? Dann hatte ich nochmal unverschämtes Glück. Ich spiele Volleyball, schon seit 11 Jahren. Das ist ein großer Teil von mir…und klar, das hab ich auch in meinen Bewerbungsunterlagen geschrieben. Aber dass ich auf die Schule komme, die sich in dem Jahr unter die besten 8 in ganz Michigan spielt, das hätte ich nicht gedacht! Und Sport ist anders da drüben. Meine Mannschaft hat im Sommer jeden Morgen 2 Stunden im Kraftraum und auf dem Sportplatz verbracht um fit zu werden. Ich kam da an und die Hälfte der Mädels hatte ein Sixpack! Von wegen fettes Amerika. Kein Gramm hab ich zugenommen. In der Schulzeit haben wir dann jeden Tag 2-4 Stunden trainiert oder hatten eben ein Spiel. Der Teamspirit, das Haare flechten vor den Spielen, der Stolz mit dem das Trikot in der Schule getragen wird, die anerkennenden Blicke der Mitschüler, die begeisterten Eltern und Freunde bei den Spielen, die Zeitungsartikel - der ganze Stolz der Gemeinde waren wirJ Aber so eine Saison geht eben nur bis zum Winter. Dann muss man sich was anderes suchen. Da hatte ich nochmal Glück. Ein Clubvolleyball Team aus Toledo hat mir ein Stipendium angeboten um für sie zu spielen! Von Januar bis Juni ging die Clubsaison und mein Team hat sich sogar für  Nationals qualifiziert. Das war eine tolle Möglichkeit für mich, weil ich weiterhin Volleyballspielen konnte und auch ein bisschen rumgereist bin. Mein High-School Coach und ein paar Mädels aus meinem High-School Team waren im selben Club aktiv, also war organisatorisch alles unter einen Hut zu bringen. Durch den Volleyball und meine lebensfreudige Schwester habe ich Freunde gefunden. Freunde fürs Leben. Ich glaube nicht, dass es einen einzigen Tag gab, an dem ich mich gelangweilt hätte. Mädelsnächte mit ganz viel Popcorn, Tiffanys Pizza, Nagellack und Ice Caps von Tim Hortons. DVD Abende.  Lagerfeuer. Senior Campouts und Partys. Fridaynight Footballspiele auf der Tribüne extra für die Schüler, danach noch in irgendein Restaurant. Kino. Schwimmen gehen. Die Wochenenden am Ferienhaus – Tuben, Wakeboarden, Sonnen. Volleyball, Tanzen, Aufbretzeln, Fitnessstudio, Shoppen. Und unzählige gute Gespräche und Lachanfälle! Die Schule hat auch Spaß gemacht! Ich mochte meine Schule und im Herzen werde ich auch immer ein kleiner Düsenflieger (Airport Jets) seinJ Es war eine kleine öffentliche Schule mit sehr herzlichen Lehrern und viel Humor und Spirit! Ich hab relativ harte Klassen gewählt, war aber auf keinen Fall überfordert: Französisch 4, Anatomie, Englisch 10, AP Calculus, Physics und zu guter Letzt Amerikanische Geschichte. Geändert hat sich der Stundenplan nie! Klar hatte ich auch mal Heimweh. Nicht in den ersten Monaten, da war alles viel zu aufregend und es war mehr wie ein Abenteuerurlaub. Aber im November, als die Tage kürzer wurden und der Sommer vorbei war, da war ich manchmal schon traurig. Da habe ich die Freiheit zu Hause und die Großstadt vermisst, und überhaupt meine Freunde und Familie. Man hat das Gefühl man lebt sich so auseinander. Obwohl ich Freunde und meine Gastfamilie hatte denen ich wahrscheinlich ALLES hätte anvertrauen können, habe ich es immer versucht in mich hinein zu fressen. Nach dem Telefonieren mit den Eltern bin ich eben schnell mal ins Bad verschwunden. Einmal kurz ausgeheult und weiter ging es… vielleicht nicht die beste Methode, aber ich kam mir dumm vor. Da war ich in der perfekten Gastfamilie und es gab keinen Grund sich zu beschweren und ich heule? Jetzt lache ich drüber, klar hat man Heimweh! Es gibt eben keinen Ort wie zu Hause. Aber der Abschied war viel schlimmer. Und vor allem kam er so unglaublich schnell! Erst haben wir alle gesagt, hey wir verdrängen es einfach. Aber dann war die letzte Woche irgendwie doch da!  Zach, mein bester Freund, hat am Montag eine Abschiedsparty für mich bei ihm geschmissen! Nur meine Liebsten um mich rum, am Lagerfeuer sitzen und von den guten Zeiten erzählen. Am nächsten Tag war dann die große Abschiedsparty bei mir! Alle kamen! Meine Gastfamilie mit Kind und Kegel, meine Volleyballteams – sowohl das der Highschool als auch das Clubteam, alle meine Freunde, die ich so lieb gewonnen hatte. Party kann man das nicht nennen. Es war ein Heulfest. Bis um 4 Uhr nachts lag ich den Letzten in den Armen. Mittwochabend war dann der letzte Abend in Amerika, nur meine besten Freunde und meine Eltern bei mir zu Hause. Schön war es nicht, aber wenigstens hatten wir alle Zeit der Welt tschüss zu sagen. Mein Gastpapa hat mich immer angemeckert wenn ich „good bye“ gesagt hab – Er wollte nur ein „see you later“ hören :) Donnerstag haben wir uns dann alle zusammen auf meine Koffer gesetzt, damit sie zu gehen. Und dann los zum Flughafen. Vorfreude war ja auch ein bisschen da. Aber die kam irgendwie nicht so raus in dem Moment. Als ich durch den Securitycheck durch war, bin ich erst mal zu McDonalds gegangen und habe einen Chickenburger gegessen und weiter geweint. Eine Frau von McDonalds hat mich sogar gefragt, ob alles okay ist, oder ob sie mir irgendwie helfen kann. Aber in Berlin angekommen, mit wackeligen Knien und viel zu wenig Schlaf, war es toll Mama und Papa eine dicke Umarmung zu geben. Jetzt bin ich schon seit fast 2 Monaten wieder hier! Ich bin froh, dass ich die Möglichkeit genutzt hab. Es war ein tolles Jahr, aber eben auch ein bisschen wie im Teenie-Film! Es ist gut wieder zu Hause zu sein, mit meinen Freunden, meinem Berlin und meiner Familie!  Nächsten Sommer flieg ich wieder rüber und ich kann es kaum erwarten alle wieder zu sehen! Jetzt habt ihr einen kleinen Blick in mein aufregendes Jahr erhaschen können und ich hoffe, dass ich euch ein paar Entscheidungen leichter gemacht hab. Nun bleiben mir noch zwei Sachen zu sagen: Ein dickes DANKESCHÖN an into für diesen wunderbaren Fund in Newport, Michigan. Und für die, die es noch vor sich haben: Don’t dream it. Do it!